Der Gang

Er öffnete die Türe und trat in den Raum hinein und hinter ihm fiel die Türe mit einem leisen Klicken wieder ins Schloß. Er fuhr herum und drückte die Klinke herunter, aber die Türe öffnete sich nicht mehr. Er wandte sich wieder zum Raum, der eher einem Korridor glich: lang und schmal, der Boden weiß gefliest, die kahlen Wände weiß gestrichen, an der Decke eine weiße Leuchtstofflampe. Sein Blick wanderte von der Eingangstür den Gang entlang zu der Ausgangstür auf der anderen Seite und dann wieder zurück an dem rohen Tisch vorbei, der sich inmitten des Raumes befand, zur Eingangstüre. Er drückte die Klinke erneut herunter, aber die Türe öffnete sich nicht. Er schritt den Gang ab, an dem rohen Tisch vorbei, darauf ein Teller mit dampfender Suppe und ein Löffel, davor ein roher Stuhl. Er gelangte zur gegenüberliegenden Türe und drückte die Klinke herunter, aber die Türe öffnete sich nicht. Er begann heftiger an der Klinke zu rütteln und mit den Fäusten an die Türe zu hämmern und zu schreien, aber kein Laut erfüllte den Raum, nur Stille. Keine Schritte hallten durch die beinahe vollständige Leere, als er zur Eingangstüre zurückging und dort mit Brüllen und Hämmern die Türe bearbeitete. Wieder kein Laut zu hören. Seine eigene Stimme nicht. Sein eigenes Pochen nicht. Den Gang hinauf, den Gang hinab. Die Wände untersucht: glatt und weiß und still, keine Ritze, kein Durchlaß, kein Ausgang. Hinauf, hinab, stilles Gebrüll, lautloses Pochen, Tür, Gang, Tisch, Gang, Tür, Wand. Resignation. Tisch. Er setzte sich auf den Stuhl vor das Tischchen hin und sein Kopf sank in seine Hände, die Arme bargen sein Gesicht. Stille. Er blickte wieder auf, ergriff wie in Trance den Löffel und begann die bereits kalt gewordene Suppe zu löffeln. Schluck für Schluck für Schluck. Löffel für Löffel für Löffel. Als der letzte Schluck kalte Suppe seine Kehle heruntergelaufen war, hörte er von der gegenüberliegenden Tür ein leises Klicken. Er stand auf, ging zur Türe, drückte die Klinke herunter, öffnete die Türe und trat aus dem Raum hinaus und hinter ihm fiel die Türe mit einem leisen Klicken wieder in Schloß. Vor seinen Augen lag ein Gang, der dem, den er gerade verlassen hatte, bis aufs Detail glich. Er erspähte einen Tisch mit einem Teller. Ein Grinsen befiel sein Gesicht. Er ging zum Teller, um ihn auszulöffeln. Aber der Teller war leer.

29.01.1996