Schlagwort-Archive: Was vom Tage übrigblieb

Swimming in a pond

Gedanken zu Bei Regen in einem Teich schwimmen

Bisher habe ich wenig Tschechow gelesen. Nach dem ich A swim in a pond…ausgeselen hatte, entschied ich mich bei Anton etwas länger zu verweilen.


George ähnelt Tschechow im Sein und Tun sehr und – womöglich aus dieser besonderen Verwandtschaft heraus – widmet er sich den Geschichten seines Seelenverwandten mit einzigartiger Sorgsamkeit und/oder Liebe. Auf seine spezielle Beziehung zu Tschechow weist George schon im Titel des Buches hin, der auf eine der Kurzgeschichten Tschechows, die im Buch besprochen wird, Bezug nimmt.


Georges liebevolle Teilnahme und zarte Bewunderung für Tschechow wollte ich ergründen, verstehen oder einfach an ihr teilzunehmen. Dabei wandte ich die Methode an, die George zu Anfang seines Buches vorstellt und die er in seinen Vorlesungen in Syracuse University mit den Stundenten anwendet: bei der Lektüre darauf zu achten „was ich fühle?“ und „wo fühle ich es?“ Die Strategie wandte ich nicht nur bei Tschechow, Tolstoi, Gogol und Turgenew, sondern auch bei Saunders an – was fühlte ich, während ich seinen Worten lauschte und wo spürte ich es?


In seinen berüchtigten Vorlesungen und Vorträgen zu russischen Literatur, („…die er hauptsächlich aus Geldnot anbot,“ meint Dirk Pilz in der Frankfurter Rundschau vom 03.05.2014) erboste sich Nabokov in der Vorlesung zu Tschechow, über die leider zu tüchtigen, ambitionierten literarischen Versager, die uns – geduldigen, gutmütigen, arglosen Leser – mit schludrig ausgestanzten Pappfiguren plagen. Tschechows Helden hingegen sind aus Fleisch und Blut.

Zutiefst aufrichtig und couragiert offenherzig ist George Saunders, der Ich-Erzähler dieses Buches, eine überaus Tschechowsche Figur, tragikomisch ohne Pathos, tollpatschig und töricht – letztlich ein jedermann. Ich könnte es so formulieren:
„Tschechow verfasst, endlich, ein langes Buch über einen Idealisten aus Texas, der Bücher schreibt und Menschen liebt: reelle und erfundene – sein Name ist George Saunders.„


„…was den russischen Leser wirklich anzog, war, dass er in Tschechows Helden den Typus der russischen Intellektuellen, des russischen Idealisten erkannte, ein sonderbares und anrührendes Wesen…Tschechows Intellektueller ist ein Mensch, der den tiefsten menschlichen Anstand, zu dem einer fähig ist, mit einer fast lächerlichen Unfähigkeit verbindet, seine Ideale und Prinzipien im Handeln umzusetzen; ein Mensch, der sich der moralischen Schönheit widmet, dem Wohlergehen seines Volkes, dem Wohlergehen des Universums, der aber außerstande ist in seinem privaten Leben irgendetwas Nützliches zu vollbringen; der sein provinzielles Leben in seinem Nebel utopischer Träume vergeudet; der genau weiß, was gut wäre und wofür zu leben sich lohnte, aber zugleich immer tiefer im Schlamm eines banalen Daseins versinkt, unglücklich in der Liebe, hoffnungslos untüchtig in allem – ein guter Mensch, der nichts wahr machen kann. … Wir sehen ihn durch alle Erzählungen Tschechows stolpern, aber er stolpert, weil er zu den Sternen hinaufstarrt.“ schrieb Nabokov.


Der Protagonist George Saunders ist ebenso voller Ideale und ehrenwerten Vorsätze. Doch, wie alle Helden von Tschechow, ist auch George, bemüht zu helfen, mit seiner Philosophie und Weisheit wenig erfolgreich. Und die liebenswerte Tragik dabei ist – er weiß es und sagt es auch. „Hey, ich will dir unbedingt helfen,“ sagt George „aber ich kann nicht. Ich kann vieles schreiben, ja ein ganzes langes Buch darüber, was du über das Schreiben wissen musst, wo sich die Stolpersteine verstecken, wo die Ungeheuer lauern, dass es einsam und frustrierend sein wird und du oft verzweifeln wirst. Aber ich kann es nicht ändern.„


Was ich fühlte? Ich fühlte, dass ich gern so ein Vater hätte – liebevoll ehrlich. Einer, der sagt: ich kann dich nicht davor bewahren, dass du stolperst und es dich auf die Fresse haut. Aber ich werde da sein und dir eine Cola reichen, nach dem ich dir das Blut von der geplatzten Lippe abgewischt und ein Pflaster draufgeklebt habe. Die, mit den Disneyfiguren drauf.“


Nach dem George Saunders seine Methode vorschlägt und aufruft, uns den Erzählungen hinzugeben, erklärt er, dass es seine Aufgabe sei, uns zu erklären, warum wir das fühlen, was wir fühlen. Das ist der Trostpflaster.


Es gibt großartige Literatur. Und es gibt Bücher, die wir lieben. Das führte mir A swim in a pond in the rain vor Augen: Tolstoi – irgendwie muss man ihn toll finden. Wundervoll. Turgenew, Iwan Sergejewitsch – kein Zweifel – ein Titan. Gogol – ganz vorne. Aber Tschechow – das ist Liebe.


Über das, was großartige Literatur ist, sind sich alle einig. Aber Bücher die wir lieben – das ist zutiefst intim: nur ich und das Buch, das ich liebe. Wie Howard’s End. Wie Homo Faber. Wie Was vom Tage übrig blieb. Wie Das Lächeln am Fuße der Leiter. Wie A Swim in a Pond in the Rain.

# 09 – „Was vom Tage übrigblieb“ von Kazuo Ishiguro

Eine wunderschön-melancholische Liebesgeschichte.

Stevens dient als Butler auf Darlington Hall. Er sorgt für einen tadellosen Haushalt und ist die Verschwiegenheit in Person: Niemals würde er auch nur ein Wort über die merkwürdigen Vorgänge im Herrenhaus verlieren. Er stellt sein Leben voll und ganz in den Dienst seines Herrn. Auch die vorsichtigen Annäherungsversuche von Miss Kenton, der Haushälterin, weist er brüsk zurück. Die Jahre vergehen, Stevens lebt ergeben in seiner Welt, bis ihn eines Tages die Vergangenheit einholt. „Was vom Tage übrigblieb“ ist ein gesellschaftskritischer Roman, erzählt von jemandem, der sich eine solche Kritik nie erlauben würde, und eine wunderschöne, traurige Liebesgeschichte, erzählt von einem, der nie auch nur ahnte, dass er geliebt hat.