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Servus Vernunft

Ein kleiner Auszug aus einem recht besorgniserregenden Artikel der »Zeit«, wie Studenten über dem Atlantik dem Thema Ovid begegnen.
– gefunden von Damselna

Es entsteht sofort die Frage, was tun in überwiegend katholischen Kirchen, worin an prominenter Stelle ein Gekreuzigter angebracht ist? Nichts für schwache Nerven…

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Schicht um Schicht

Dieses, im Format gewaltige Bild, entstand Mitte des 17. Jahrhunderts. Als thematische Grundlage dient Diego Velázquez das Arachnemythos, die Sage über die Verwandlung der stolzen und selbstbewussten Weberin.

Wikipedia fasst die Sage etwas verknappt zusammen und behauptet, Pallas Athene geht eindeutig als Siegerin aus dem Webwettstreit hervor. Dies ist, jedoch, nicht ganz zweifelsfrei. In Ovids Epos ist die insturktive Moral eine flüchtige Substanz. Aktuelle Übersetzungen und neuere Interpretationen des Epos erwägen sowohl ein Unentschieden als auch durchaus Arachnes Überlegenheit als Webartistin. Zumindest beschreibt Ovid Arachnes Teppich mit großer Begeisterung, ja fast könnte man meinen, er bevorzugt ihr Werk gegenüber der der Göttin. Athene ist in Rage und zerfetzt Arachnes Teppich und schlägt mit ihrem Webschütze das Mädchen auf dem Kopf. Von Verzweiflung übermahnt, hängt sich Arachne an den Fetzen des zerstörten Teppichs auf. In diesem Moment, ergriffen von Mitleid/Erbarmen/Einsicht, verwandelt Athene Arachne in eine Spinne und rettet sie durch das Schrumpfen vor der Asphyxie.

Rettung oder Strafe?
Viele der Erzählungen in den Metamorphosen erwecken den Eindruck, die Verwandlungen seien eine Reduktion auf eine die den Menschen innewohnende essentielle Wahrheit , vereinfacht gesagt – eine Metapher der Haupteigenschaft, wenn man so möchte, wobei Ovid hierin sonst wenig unerschütterlich Prinzipielles als weltanschauliche Basis bietet. Viel eher sind im Epos die moralischen Grundsätze elastisch und geschmeidig. Ovids Welt ist im stetigen Wandel, darin ist nichts von verlässlicher Haltbarkeit oder behaglicher Beständigkeit.

Ob Darwin auch von Ovid inspiriert wurde?

Wie vielleicht schon Ovid, schlägt sich auch Velásquez – selbst ein Künstler – etwas umständlich, auf die Seite der Künstlerin, in dem er Tizians Raub der Europa zitiert (Wandteppich hinten im Bild). Für die hochmütige Weberin ist die Schändung der Menschen durch die Götter und die punitiven »Umschöpfungen« die die Menschen erleiden oder erfahren thematische Grundlage. Und wo Homer noch demütig die Muse um Inspiration und Unterstützung anfleht, emanzipiert Ovid die schöpferische Kraft und – wie kann es anders sein – führt den Gedanken ein, die Menschen besitzen göttliche Talente und die Götter weisen zutiefst menschliche Züge: statt anschauliche Konturen bietet Ovid ein weiteres Mal lichte Schraffuren. Und obwohl er die Urschöpfung als ein Ordnen beschreibt, fehlt den Metamorphosen fixe Strukturen – in Form und Genre changiert das Werk von Epos zu Märchen, von Schöpfungsgeschichte zu gesellschaftskritischen Meditationen.

Vielleicht faszinieren die Metamorphosen aufgrund ihrer Wandelbarkeit und Reichtum an Deutungen die Leser und, dass sie seit 2000  Jahren das akkurat Definierbare auszuweichen vermögen? Sicher und sichtbar bleibt, dass die Kunst während der zwei Millenia das Versteckspiel dankbar zu instrumentalisieren wusste.

Bild: Diego Velázquez 

Drama oder Vaudeville?

Um den Mythos von Perseus und Andromeda besser zu verstehen, ist es hilfreich die Lebensgeschichte Perseus‘ ein wenig zu beleuchten.

Gezeugt wird er von Jupiter, der – verwandelt in einen güldenen Guss – Danae schwängert, die von ihrem Vater bereits in einen Kerker eingesperrt wurde, um just diesen Ereignis zu verhindern. Das kümmert  Jupier wenig. Die Prophezeihung tritt ein und geboren wird Perseus, der dann, samt Mutter, in einer Kiste aufs Meer hinausgeschickt wird, ihrem vermeintlichen Tod entgegen. Jupiter weiss auch dieses Vorhaben Akrisios‘ mit Hilfe Poseidons zu vereiteln und lässt beide überleben, worauf hin die Kiste mit Danae und Perseus an den Stand des Insels Seriphos gespült wird. Der König des Insels Polydektes wirft ein Auge auf Danae, die inzwischen mit ihrem Sohn im königlichen Palast aufgenommen wurde. Perseus und der Bruder des Königs bemühen sich Danae vor den unkeuschen Absichten des Königs zu schützen. Das missfällt Polydektes, sodass der einzige Weg sich der Beiden zu entledigen ist den Bruder zu verbannen und vom Perseus den Haupt Medusas als Geschenk zu verlagen. So beginnen die Abenteuer des Perseus.

Um die Zeit der Bildentstehung, ca. 1576, umwütet Venedig, wie auch die übrigen Teile von Europa und England, erneut die Pest. Eine Quelle berichtet, dass bis Mitte der 70ger Jahre, in Venedig bis zu 70,000 Menschen der Epidemie erlagen, unter anderem auch Tizian, den Veronese – zu recht – sehr verehrte. Die Stimmung drückt auf Veroneses Laune, sodass sein zuvor farbenprächtiger Malstil, der die Opulenz Venezianischer High Society in aller Herrlichkeit und Prunk dokumentiert, sich nun durch eine düstere Farbpalette und bedrückende Bildaufbau kennzeichnet. Ob als Andacht an Tizian oder durch sein Gemälde »inspiriert«, wählt Veronese in diesen Jahren das Mythos von Perseus und Andromeda als Sujet für ein Bild. Um sich von seinem Idol zu unterscheiden, spiegelt er die Bildkomposition Tizians, »entlehnt« jedoch die Wahl der Szene aus dem Mythos der Vorlage des vom Beuelenpest dahingerafften Meisters. Klugerweise. Denn Ovid Perseus nicht ganz eindeutig als Helden charakterisiert. So, zum Beispiel, schreibt Ovid: von Andromedas Schönheit entzückt, vergisst der Held kurzer Hand mit den Flügel seiner Sandalen zu schlagen, sodass aus seinem heroisch-eleganten Auftritt eine Slapsticknummer zu werden droht. Der Leser kann sich die stümpferhafte Landung vor der an den Felsen geketteten Andromeda (womöglich hat sie Perseus erspäht und schmachtet nach ihrer Rettung) lebhaft vorstellen – der ganzen Szene kann man eine gewisse Komik abgewinnen. Sich allmählich vom sinnlichen Rausch erholend, sicher und apart landend (schließlich wird ihm die Beweglichkeit attributiert), fängt Perseus Andromeda Löcher in den Bauch zu Fragen. Ebenfalls ein Bild für Götter: da steht die nackte, hilflos an den Felsen gekettete, und ihm fällt nichts anderes ein, als sich von ihrer Erscheinung entzücken zu lassen und sie auszufragen, anstatt vielleicht ihre Nachkheit mit seinem Umhang zu bedecken. Nein. Irgendwann kommt sie zu sich und erzählt von der Arroganz ihrer Mutter, die ihr ihre Schicksal bescherte: Um den empörten Poseidon zu besänftigen, musste die Mutter ihre Tochter dem Seeungeheuer opfern, sonst drohe Äthiopen den Untergang durch den Flut.

Während der wehmütigen Erläuterung ihrer Lage, taucht der angekündigte Seeungeheuer auf und steuert, zunächst „wie ein Schiff“ auf den Felsen zu. Überhaupt nimmt Ovid es nicht so streng mit der Kontinuität der Vergleiche – mixed metaphors (or similes in this case) – egal. Wie ein Schiff oder auch Schleudergeschoß – Hauptsache dem Leser wird verständlich und bildhaft eingebläut, der Monster rast in schwindelerregendem Tempo auf seine Beute zu. Auftritt Perseus: mit grösster Theatralik schwingt Perseus sich in die Lüfte, holt aus und versenkt sein Krummsebel in das Tier. Die bereits am Schauplatz des heroischen Kampfes angekommenen Eltern Andromedas sind schwer begeistert und als Dank, Äthiopien vom Untergang gerettet zu haben, ihre Tocher an Perseus übergeben.

Weshalb, fragt man sich, musste er aber so eine Show veranstalten? Wäre es nicht wesentlich einfacher, er hole den Kopf Medusas heraus und versteinert den Monster? Wieder entsteht der Eindruck, auch diese Zeilen schrieb Ovid süffisant grinsend. Kurz über das von Ovid Dargebotene nachsinnend, entsteht auch hier der Eindruck einer Inszenierung.

Später, nach der Rückkehr in Seriphos, werden seine Heldentaten hie und da in Frage gestellt. Sein höchst unsouveräner Umgang mit Skepsis seine Tapferkeit betreffend provoziert den Verdacht, Perseus leide an einem Minderwertigekeitskomplex. Denn jeder, der seine heroische Tapferkeit bezweifelt muss des Medusahauptes ansichtig werden und versteinern.

Diana und Actaeón

Diana und Actaeon

Actaeón ist noch am Leben in dieser Variante von Pietro Liberi, gemalt um 1660, jedoch bereits in ein Hirsch verwandelt (ganz rechts im Anschnitt).  Ein Gefühl eleganter Hektik ist spürbar durch die besorgten Gesichter der Nymphen und die Gesten des Entsetzens – etwas unbeholfen beeilen sie sich, die Nackheit der keuschen Göttin zu verhüllen.

Die einzigen hell erleuchteten, im Bild Vordergrund positionierten Figuren, die durch die nervöse Aufregung in einander verschraubt zu sein scheinen, wecken den Eindruck, als wären die Beiden eigentlich nur Diana, die  – wie in einer Bewegungsabfolge – zunächst saß, dem Betrachter und dem Teich zugewand,  und sich wusch. Dann, nach dem Hereinplatzen des Jägers, aufstand und – schamhaft – sich dem Betrachter abwand und nicht so schamhaft sich dem Jäger frontal stellte). Die mit dem Rücken zum Betrachter stehende Diana schaut über die Schulter (vom Jäger abgewandt, die Hand womöglich vors Gesicht haltend) und ihr Gesichtsausdruck scheint uns mitzuteilen: Tja. Sie ist nicht verängert, lediglich etwas missvergnügt.

Was ist aber mit dem Aufpasswauwau? Seine Pfoten ruhen schützend am Schenkel einer Nymphe und er schaut den Betrachter so angestrengt-bissig an, wie er nur kann (man hört fast das Knurren), sein Partner widmet sich ganz dem Hirschen. Hat er den Jäger nicht gewittert und sein Herannahen durch vehementes Kläffen nicht verkündet? Hat Liberi sagen wollen: die Götter spielen nur mit uns und die ganze Überraschung nur inszeniert war? Im Buch »The Wrath of Athena« spricht Jenny Strauss Clay über eidenai die göttliche Sehfähigkeit, die den Sterblichen weit überlegen ist. Sie schreibt »… When dealing with mortals, the gods generally disguise themselves or choose to remain inviisible. Men may not recongnize a divinty unless the latter is willing.«, und zitiert eine Stelle in der Illias, als Athena Diomedes belehrt: „I have taken from your eyes the mist which before was upon them, so that you may well recognize god and man.“ So weit Homer. Vielerorts erscheint Athena dem Odysseus, weil sie es will. Mancherorts ist dieser Willen für den Menschen sichtbar zu sein sehr deutlich klargemacht, denn, im Fall von Athena und ihrem Schützling Odysseus, zeigt sie sich nur ihm, die anderen können sie nicht  wahrnehmen.

Bereits in Corregios Interpretation von Ios Verführung durch Jupiter hat man sich gefragt, weshalb sie sich der Bekleidung entledigte und sich den Berührungen Jupiters entzückt hingab? Hat sie ihn etwa erwartet und gar nicht mit Gewalt verführt wurde? Ganz und gar bewusst, wie vielleicht auch hier Diana?

Das Bild, wie auch bei Corregio, ist akut voyeuristisch. Wir betrachten die Szene, als säßen wir versteckt hinter einem Busch oder einem Stein am Teichufer. Der Hund, also, hat uns bereits bemerkt und vielleicht, ereilt uns die gleiche Schicksal wie die des Actaeóns?

Bild: Pietro Liberi, 1660

Juno rächt sich

Immernoch die Geschichte von Ios Verführung durch Jupiter.
Im weiteren Verlauf der Ereignisse, entwickelt sich, wie ich meine, ein Kalter Krieg zwischen Zeus und Hera (Jupiter und Juno), die leidenden sind Io, ihr Vater und natürlich Argus, der dran glauben musste.
Die tragische Szene des Endes Argus‘ stellt hier Peter Paul Rubens sehr morbide dar. (Juno hält einige seine Augen noch in der Hand, während ihre Begleitung ihm aus dem abgetrennten Kopf in ihrem Schoß, die Augen heraupult, als wären sie Perlen oder Edelsteine. Sein kopfloser Körper scheint in Agonie noch zu winden. Alles sehr makaber…Obwohl, nicht ohne Erotik, auch durch die interessant platzierte Hand Junos, die die entblösste Brust des Mädchens zu streicheln oder sie zu wiegen scheint.