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»rigide Stadtplanung«, Teil 3

Für diejenigen, die Wien kennen, ist »Moloch« gewiss das letzte, was zu dieser Stadt einfällt: Mumbai, Kairo – ja. Aber Wien?

Und doch titelt die Süddeutsche Zeitung, »Ameisenhaufen mit Rohrpost: In Wien zeigt eine Ausstellung, wie sich die Stadt im 19. Jahrhundert fast zu einem Moloch entwickelte«. Das Schicksal der Verstädterung teilten im 19. Jahrhundert die meisten Europäischen Städte, allen voran London des Viktorianischen Zeitalters, Schauplatz unzähliger Werke Dickens‘. Diese seine Schilderung einer Stadt, die in der tat zum Moloch wuchs, machen es umso unmöglicher, sich Wien im ähnlichen industriellen Miasma vorzustellen. Gedanken an Wien des 19. Jahrhunderts rufen eher archetypische Bilder des Belle Époque hervor: aktuell noch verstärkt, durch die stark romantisierten Erinnerungen Zweigs in »Die Welt von Gestern«.

Experiment Metropole –
1873: Wien und die Weltausstellung
Ausstellungsdauer:
15. Mai bis 28. September 2014

Bild ©

Freitag, 20. Juni 2014

Defaitist

»So wurde es nur natürlich für mich, die eigene, die tragische Situation des ›Defaitisten‹ – dieses Wort hatte man erfunden, um jenen, die sich um Verständigung bemühten, den Willen zur Niederlage zu unterschieben – in dramatischer Form zu schildern.«
Stefan Zweig, Die Welt von Gestern

Laut Wikipedia entstand der Ausdruck »…während des Ersten Weltkrieges in Frankreich und bezeichnete den Vorwurf des systematischen Nährens von Mutlosigkeit, Resignation und Zweifel am militärischen Sieg in den eigenen Reihen. Als Mittel der gegnerischen psychologischen Kriegführung verdächtigt, wurde solches Verhalten von Militärtribunalen sanktioniert.«

Andere Quellen wiederum, schreiben die Entstehung des Ausdrucks einem russischen Publizisten zu.

Auch hier Interessantes zum Wortgebrauch

Dienstag, 22. April 2014

Schuldstolz

Gehört in einem Beitrag der Deutschlandfunk-Sendereihe  100 Jahre Erster Weltkrieg.
Die Google-Suche nach der Definition war nicht nur ergebnislos sondern äusserst prekär.

Im Kontext des 2. Weltkrieges scheint dieses Wort eher im Zusammenhang mit der Entschlossenheit Deutschlands das Geschehene mit einem unablässigen Enthusiasmus zu verarbeiten und begreifen zu stehen. In einem Artikel einer in den USA herausgegebenen Zeitschrift spricht man von „the vanguard of redemption“, also die Speerspitze – die sich, laut den Amerikanern, vor allem aus J. Fischer und Ex-Kanzler Schröder zusammensetzte – jener Nachkriegsgeneration, die sich der Aufarbeitung des von ihr nicht bewusst Erlebten verschrieb.

Samstag, 19. April 2014

Kleptokratie

Gefunden in Command Authorityals Beschreibung der aktuellen Herrschaftsform der
Russischen Föderation.
Interessanterweise, werden in der Wikipedia  – u. a. – folgende Nationen, die diese Form der Herrschaft aufweisen oder aufwiesen, aufgeführt:

Zaire, Nigeria und Russland.

Unser Lieblingsphilosoph äussert sich zu diesem Thema hier und hier (etwas ausführlicher).

Nr. 37

Heinrich Böll Fürsorgliche Belagerung
Freitag, 11. April 2014

Eindrücke und Gedanken
Seit Jahren engagiert sich Mariss Jansons, Chefdirigent des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, in unnachgiebiger Überzeugungsarbeit, durch Spenden in Form von Gageverzicht für Münchens Musiklandschaft. Mit beharrlicher Hingabe hält er das Gespräch lebendig für den Bau eines neuen Konzertsaals in der Bayerischen Hauptstadt: mit Klagen über die unbestritten verpfuschte Akustik im Gasteig und die ebenso wenig ideale des Herkulessaals. Auf Reisen, beispielsweise in Japan, erfahren die Musiker des Orchesters, wie es auch in München sein könnte: »…der Klarinettist Werner Mittelbach erklärt, was die besondere Akustik der Suntory Hall ausmacht: „Dort hört man die Kollegen so, wie man sie hören muss. Und man hört sich selbst so, wie man sich hören muss. …« (SZ Magazin aus 
Heft 10/2008 München braucht einen neuen Konzertsaal! Ein Plädoyer. von Johannes Waechter) Auch in der aktuellen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung spricht Daniel Barenboim über das Zuhören. Als Spielender, aber auch als Publikum ist das aufmerksame, geduldige Zuhören die Voraussetzung, um Musik zu erschaffen und zu erfahren, die unentbehrliche Achtung vor dem Klang, aber auch vor der Stille, also dem Klanglosen, gegenüber.

Für Akustikbanausen wird die Tragweite der Entscheidung, eine gestalterisch wertlose IKEA Pendelleuchte wegzurationalisieren, erst später, im Gedröhn des Gesprächs von sieben Damen, akut bewusst. Erst später, inmitten von kakophonem Kauderwelsch, offenbart sich auch die Bedeutung von Geduld und Höflichkeit – das bedachtsame Selbstvertrauen, dem Gesprächspartner (oder den Gesprächspartnern) den gleichen Stellenwert einzuräumen wie sich selbst: das Stillsein. 

Unser Canetti-Treffen verliess ich mit Freude über das entstandene Gefühl, bereichert worden zu sein, das – im Nachreflektieren ersonnen – nur durch Zuhören entstehen konnte. Der Böll-Abend bot ebenfalls Momente, in denen das Stillsein und Zuhören weitaus bedeutsamer waren als die Selbstmitteilung. Durch Stillsein und Zuhören  – so absurd, wie es klingen mag – konnte die bis dahin herrschende Gedankenwirrnis aufgelöst, mit Neuem ergänzt und zu einem Sinnvollen vervollständigt werden. Während des Lesens entstehen unzählige, zusammenhanglose Skizzen, ein oftmals frustrierendes Weißes Rauschen der Ideen, das, wenn ich innehalte und den Anderen lausche, sich in Wohlklang auflöst. Des Öfteren werde ich von diesen Augenblicken der Luzidität übermannt – mit Hilfe der Ideen Anderer klingt die ohrenbetäubende Dissonanz ab, es bleibt nur das euphonische Echo des Verständnis’.

Eine Aussage hallt immer noch nach: Bölls bemerkenswerte Toleranz (von Gamsel lobend erwähnt), sein emphatisches, urteilsfreies Dokumentieren der Werdegänge und Geschehnisse, das Nicht-Richten über seine Charaktere finde ich, im Nachhinein, auch heldenhaft. Heldenhaft, wenn man bedenkt, wie meinungsstark Böll auftrat, wie bedingungslos seine Ansichten waren.

Bildeindrücke des Abends

© Rheinisches Bildarchiv Köln (Portrait Heinrich Böll)

Greise im Gasteig

Vor einigen Jahren hat Herr Sick im ausverkauften Philarmoniesaal im Gasteig knapp 2.400 Münchnern einen Grammatikkurs verpasst, samt VIP-Lounge, Sponsoren und Goody-Bags. Den Besucherzahlen nach zu urteilen, war Sanfranskis gestriger Buchpromotion-Event eher eine Fußnote im Kulturprogramm – zum vermeintlichen Q & A-Plausch erschienen vielleicht 225 Interessierte. Die Tatsache, dass das Damselsquintett im Foyer vor der Black Box als „Schulgruppe“ angesprochen wurde, sagt Einiges über das Durchschnittsalter von Safranskis Fangemeinde aus.